Halbzeit

Im Januar hatte ich in meinem Tagebuch verraten, dass ich dieses Jahr zum zweiten Mal Teil der Glauser-Jury bin.
Obwohl Krimis in meinem Berufsleben eher eine Nebenrolle spielen (dabei habe ich gerade eine superspannende Idee, finde ich 😉 ), bin ich seit Jahren Mitglied im SYNDIKAT e.V. Verein für deutschsprachige Kriminalliteratur. Über 750 Kollegen und Kolleginnen tauschen sich in Ortsgruppen aus, um die 200 treffen sich jährlich auf der CRIMINALE, lernen, wie ein Giftmord unentdeckt bleibt, stöbern im Darknet, trinken Gin und tanzen Tango …

Höhepunkt der CRIMINALE ist die Preisverleihungsgala. Dann wird der GLAUSER in verschiedenen Kategorien verliehen. Die Auszeichnung trägt übrigens den Namen von Friedrich Glauser, der als erster deutschsprachiger Krimiautor gilt. Ziemlich interessanter Mann!
Die Kategorie “Roman” ist dotiert mit 5.000 Euro in kleinen, nicht fortlaufend nummerierten Scheinen, aber die gerade neu gestaltete Trophäe und die Ehre sind natürlich sehr viel mehr wert.

Tja, und ich darf mit einem Kollegen und drei Kolleginnen gemeinsam den glücklichen Preisträger küren. In meinem Tagebuch habe ich geschrieben: “Ich räume schon mal eine große Ecke für Kartons frei.” Aus gutem Grund, gab es doch 456 Einreichungen, als ich das erste Mal in der Jury saß.
Dieses Mal sind es zur Halbzeit “nur” 96 eingegangene Bücher, aber erfahrungsgemäß kommt das dicke Ende noch 😉

Der Kommentar, den ich am häufigsten höre: “Das kannst du doch gar nicht alles lesen!”
Antwort: “Stimmt!”
Trotzdem kann ich mir ein ordentliches Urteil bilden. Das geht so: Ich lese die ersten 20 – 50 Seiten konzentriert. Hat mich ein Buch gepackt, wird auch der Rest verschlungen. Sind Handlung, Stil und Figuren eher so lala, lese ich den großen Mittelteil quer. Als Buchhändlerin habe ich das glücklicherweise gelernt. Ist anstrengend, aber effektiv! Die letzten Seiten, meist die Auflösung, bekommen dann wieder meine volle Konzentration.

Jeder Krimi wird farblich markiert. So sehe ich auf einen Blick, ob er nach meiner Einschätzung ein möglicher Glauser-Kandidat, sogar ein heißer Anwärter oder weit davon entfernt ist. Obendrein gibt es jeweils eine Notiz, was mir gefallen oder was mich gestört hat. Dann ist da natürlich auch noch der Austausch, der dafür sorgt, dass ich ein Buch vielleicht ein zweites Mal zur Hand nehme, wenn zum Beispiel ein Juror extrem begeistert ist. Habe ich etwas übersehen, auf den ersten Seiten nicht erkannt?
Ich bin davon überzeugt, dass wir auf diese Weise jedem Autor und jeder Autorin gerecht werden, dessen oder deren Buch im Rennen ist. Im Januar begeben wir uns sozusagen in Klausur und legen uns auf den Sieger fest. Wer es wohl dieses Mal wird? Ich bin jetzt schon mächtig gespannt!

 

Kommentare sind geschlossen.