Stadtschreiber gab es schon viele, darunter bekannte Schriftsteller, wie Peter Härtling, Jurek Becker oder auch Peter Rühmkorf. Auch Inselschreiber gibt es inzwischen. Was ist aber mit den Halligen? Für Lena ist die Hallig Hooge seit langem ein besonderer Ort. Da lag die Idee auf der Hand: Sie wird die erste Halligschreiberin, die es je gab.
Am 08. Februar 2011 hat sie das neu geschaffene symbolische Amt auf der Hallig Hooge übernommen. Hier ihr Hallig-Tagebuch:
06. Februar 2011 – Ich packe meine Koffer und nehme mit …
Tja, nun soll es also tatsächlich losgehen. Ein bisschen Verpflegung, gute Taschen- und Leselampen, das Ladegerät für die Kamera und Spikes, falls es noch mal eisig wird, liegen schon bereit.
Aber ich beginne mal ganz von vorn …
Halligschreiber, was ist das überhaupt? Ganz einfach, so etwas wie ein Stadtschreiber nur eben auf der Hallig. Und was ist ein Stadtschreiber?
Franz Joseph Schneider gilt als „Erfinder“ des symbolischen Amtes. Der hatte die Idee, dass ein Schriftsteller ohne finanzielle Sorgen in einem von der Stadt zur Verfügung gestellten Häuschen arbeiten sollte – ohne jegliche Verpflichtung.
So luxuriös wird mein Aufenthalt nicht. Ein Honorar gibt es nämlich nicht, und das Häuschen ist nur eine kleine Wohnung. Dafür darf ich auf Hooge wohnen und arbeiten. Für diejenigen, die Hallig Hooge noch nicht kennen: Es ist ein winziges Fleckchen Grün inmitten von Stürmen, Einsamkeit und ganz viel Wasser. Und es ist der (zweit)schönste Ort der Welt – für mich.
Am 08. Februar soll ich also fahren. Eigentlich. Aufgrund des Sturms war gestern und vorgestern der Fährbetrieb allerdings eingestellt. Und nun habe ich mir auch noch eine schwere Erkältung eingefangen und muss morgen zum Arzt. Damit steht der geplante Start in den Sternen. Blöd, denn ein Filmteam, das meine Abreise und Ankunft auf Hallig Hooge begleiten will, hat sich auf den Termin eingerichtet.
Aufbruch ohne Stimme, dafür mit ganz vielen Büchern und einer umfangreichen Apotheke am Dienstag? Oder komplette Planänderung und zermürbende Tage im heimischen Bett?
12. Februar 2011 – Ich bin dann mal hier …
Meine Güte, wie die Zeit vergeht. Sogar hier, wo doch alles geruhsam und gemütlich dahin plätschern sollte, oder? Von wegen! Das Halligleben ist ein ziemlich ausgefülltes. Das habe ich in den ersten Tagen schon gelernt.
Seit Dienstag bin ich hier. Die Fähre ist gefahren. Am Hafen von Schlüttsiel hat’s zwar noch kräftig gepustet, aber es ging. Und nun ist schon Samstag. Ich sitze am Fenster meines Wohnzimmers und sehe hinaus auf den Fething, einen Süßwasserteich, auf dem sich Enten tummeln. Es ist bannig kalt draußen und noch sonnig. Der Wind pfeift ordentlich, aber von Sturm würde hier noch keiner sprechen.
Seit die beiden „Männer vom Film“ am Donnerstag in aller Frühe abgereist sind, stellt sich so etwas wie Alltag ein. Die Vormittage verbringe ich in „Uns Hallig Hus“, dem Gemeinde- und Touristikbüro. Dort widme ich mich zwei Büchern, die während des Jahres entstehen sollen. Um 13 Uhr ist Feierabend. Dann marschiere ich zur Ockenswarft, wo ich wohne. Ein ziemlich geordneter Tagesablauf für eine Schriftstellerin!
Nach dem Mittag war ich bisher damit beschäftigt, hier in der Wohnung ins Internet zu kommen. Das Telefonnetz ist nicht sehr stabil. Ich lerne Geduld, werde entschleunigt. Abends mal Gemeinderatssitzung, mal Plattdeutsch-Unterricht. Zu Fuß geht’s, mit Taschenlampe bewaffnet, mal zur Hans-, mal zur Kirchwarft. Und dann natürlich auf gleichem Wege zurück. In der Stadt wäre es unheimlich, bei solcher Dunkelheit allein unterwegs zu sein. Hier nicht. Im Gegenteil: Gänse schnattern, Seevögel schreien, Wind rauscht. Ansonsten Stille. Kein menschliches Geräusch. Dafür ein unendlicher Sternenhimmel, den man nur hier sehen kann. Und der Leuchtturm von Pellworm weist mir den Weg nach Hause …
16. Februar 2011 – Also, erstmol …
Die erste Woche ist um. Erstaunlich, erst eine Woche. Ich fühle mich, als wäre ich schon immer hier zu Hause. Der Alltag auf dem Festland scheint mir sooo weit entfernt!
Jeden Tag lerne ich etwas dazu. Zum Beispiel, dass man hier zur Begrüßung „Moin“ und zum Abschied nicht etwa „Tschüss“ sondern „Erstmol …“ sagt.
Türen sind immer offen, ob von Häusern oder von Autos. Habe gestern Post von Hans- nach Ockenswarft mitgenommen. Briefkästen gibt es nicht überall, oder sie sind gut versteckt. Macht nichts. „Du gehst einfach in den Wintergarten und legst den Brief auf den Tisch“, erklärt mir die nette Nachbarin.
Es hat wieder Schnee gegeben, einige Wehen liegen so hoch, dass ich mehr als knöcheltief versinke. Der Ostwind – Halliglüüd nennen das Brausen noch nicht Sturm – pustet mich ganz leicht morgens auf die Hanswarft. Mittags auf dem Rückweg zur Ockenswarft muss ich mir jeden Schritt erkämpfen. Eiskristalle stechen in mein Gesicht wie kleine Nadeln und zwicken mir in die Augen.
Große Freude, heute ist Post gekommen! Auch frisches Recherchematerial für meinen historischen Roman ist dabei, den ich ja auch nicht vernachlässigen darf. Mir steht ein ausgefüllter Arbeitsnachmittag bevor.
Also, erstmol …
18. Februar 2011 – Biike steht vor der Tür…
Also, das ist wirklich ein Erlebnis und eine große Freude, am Freitag morgens einkaufen zu gehen. Am Donnerstag kommt neue Ware. Das heißt, die Auswahl ist richtig gut, und selbst Bio-Gemüse ist wieder da! Toll!
Gestern war ich in meiner zweiten Plattdeutsch-Stunde. Ich wollte eigentlich wieder nur zuhören, aber das hat Lehrerin Tutje nicht zugelassen. Puh, ick musste snacken …Habe mich einigermaßen geschlagen, denke ich. Und nun heißt es Hausaufgabenmachen und Lernen!
So, jetzt muss ich mich wieder der Arbeit widmen. Am Sonntag bekomme ich Besuch! Und am Montag ist Biikebrennen. Bei Landsende wird gegen 19 Uhr ein riesiges Feuer entzündet. Die Kinder dürfen die Großen mit Ruß beschmieren.
„Da kommt man wohl nicht drumherum“, sagte ich heute früh beim Hallig-Kaufmann.
„Nee, als Gast schon gar nicht“, bekam ich zu hören.
Okay, also werde ich dem guten Rat folgen, mir olle Sachen anzuziehen. Mal sehen, was sich findet. Und vorher das Gesicht eincremen nicht vergessen! Dann geht der Ruß besser ab.
Nach dem Brennen geht’s zum Grünkohlessen.
Ich werde berichten …
Nun noch ein Foto mit Sonnenschein, denn davon gab’s gestern jede Menge.
23. Februar 2011 – Nach Biike ist vor Biike …
Noch am Montag habe ich mich gefragt, warum Menschen extra für das Biikebrennen an die Nordsee fahren. Jetzt weiß ich es!
Der Brauch ist schon sehr alt. Mit den Feuern, die auf den Halligen, Inseln und an der Küste entzündet wurden, hat man zum einen den Winter vertrieben, zum anderen wurden die Männer verabschiedet, die nun wieder auf Walfang gingen. Die Feuer überall sollten ihnen Orientierung aber auch Trost und Zuversicht geben. Heute ist das Ganze einfach nur noch ein großer Spaß, den auch die Tatsache, dass es die kälteste Nacht des Winters war, nicht trüben konnte. Mit Punsch und Glühwein hat man sich aufgewärmt. Ich habe auch die eine oder andere Buddel Köm kreisen sehen.
„Es soll ja nicht nur draußen brennen“, hieß es.
Die meisten waren schon nach kurzer Zeit mit Ruß beschmiert, uns hat es erst kurz vorm Aufbruch erwischt. Das war ganz in Ordnung so, denn ohne Biike-Spuren im Gesicht wäre man beim Grünkohlessen unangenehm aufgefallen. Im „Seehund“ war die Stimmung prächtig und das Essen üppig und köstlich. Wenn auch Uneinigkeit darüber herrschte, ob denn nun Zucker auf den Kohl gehört oder nicht …
Es wurde gesungen, getrommelt, geschunkelt und ganz viel gelacht. Das Beste: Gäste und Einheimische sind sofort miteinander ins Gespräch gekommen, haben gemeinsam Spaß gehabt und gefeiert wie eine große geschlossene Gesellschaft. So etwas erlebt man nicht oft. Danke an die Hooger! Meine bessere Hälfte und ich sind wohl gegen drei Uhr beschwingt nach Hause gegangen. Aber wie ich hörte, hat ein harter Kern bis 9 Uhr morgens ausgehalten. Da fragt sich wohl niemand mehr, warum Menschen extra für das Biikebrennen nach Hooge fahren. Am Dienstag Morgen hat jedenfalls ein Gast im Touristikbüro gleich fürs nächste Jahr gebucht. Alles klar?
Kaum aus der Feierlaune aufgewacht, ist Hooge mal wieder von der Außenwelt abgeschnitten. Jedenfalls kommunikationstechnisch. Kein Telefon, kein Internet, keine mails. Ich bin jetzt im Schneckentempo mit einem Surfstick im Netz, um überhaupt mal wieder berichten zu können. Eine große Telekommunikationsfirma scheint sich für eine kleine Hallig nicht sehr zu interessieren. Einen solchen Komplettausfall hat es schon kurz vor meiner Ankunft gegeben, und er hat fünf Tage gedauert! Hey, ihr lieben Leute von der großen Deutschen Tele…, könnt ihr euch nicht vorstellen, dass gerade hier die Verbindung nach außen wichtig ist? Wer nicht jedes Fachgeschäft vor der Tür, die Bibliothek gleich um die Ecke und alle lieben Freunde in direkter Umgebung hat, der möchte sehr gerne Internet, E-Mail und Telefon nutzen.
25. Februar 2011 – Hooge und der Rest der Welt …
Freudentänze, dass die Hallig wackelt: Hooge ist wieder an den Rest der Welt angeschlossen. Telefon und Internet gehen seit heute Mittag wieder. Hurra!
01. März 2011 – Die letzte Woche beginnt …
Für den einen oder anderen Halligbewohner kamen die Freudentänze zu früh, denn das mit dem Telefon klappt noch nicht überall. Ausgerechnet an sensiblen Punkten, wie etwa beim Hallig-Kaufmann, läuft nocht nicht alles wieder so, wie es sollte. Mensch, Jungs von der großen deutschen Telekommunikationsfirma, das muss doch hinzukriegen sein!
Auch mir ist nicht nach Freudentänzen zumute, denn meine Abreise rückt mit großen Schritten näher. Am Sonntag durfte ich zum letzten Mal am Gottesdienst in der zauberhaften kleinen Kirche teilnehmen. In plattdeutscher Sprache war das eine echte Herausforderung aber auch ein Erlebnis. Am Donnerstag folgt die letzte Plattdeutsch-Lektion …
Ach, Hooge und ihr Hallig-Lüüd, ihr werdet mir fehlen!
die Häuser ziehen sich ihre Dächer fest über den Kopf.
Hooge im Winter
märchenhaft andersartiges Leben,
raue Wirklichkeit.
03. März 2011 – Abschiedsstimmung …
Mit jedem Moment wird mir das Herz schwerer. Als Halligschreiberin komme ich gerade so richtig an …und muss doch abreisen.
Aber keine Sorge, ich bin nicht am Boden zerstört. Zum einen freue ich mich auf meinen Liebsten und meine Lieben, zum anderen komme ich in gut fünf Wochen ja schon wieder!
Vorgestern war ich übrigens zum ersten Mal in der Hooger Bank. Hier wird Diskretion noch groß geschrieben. Es gibt keinen albernen Strich auf dem Boden, an dem man bitteschön warten soll, bis man an der Reihe ist. Nein, auf der Hallig steht man draußen vor der Tür. In so hübschem Ambiente macht selbst Schlangestehen Spaß …
Drinnen ein gemütlicher Kachelofen, ein Küchentisch, eine freundliche Dame, die auch im Gemeinderat und in der Theatergruppe aktiv ist – Doppelrollen sind hier üblich – ein EC-Cash-Gerät und das war es. Ich wette, das ist die schönste Raiffeisenbank-Filiale der Welt!
Ohne das blaue Schild an der Hausecke würde man nicht drauf kommen, dass das die Raiffeisenbank ist …
Vielleicht gibt es morgen noch einen Eintrag, sonst melde ich mich von daheim wieder, bevor ich das erste Kapitel der Hallig-Notizen zu schlage …
04. März 2011 – letzter Logbucheintrag …
Nun muss ich mich doch noch einmal von hier melden. Heute eine Ahnung von Frühling auf der Hallig. Es ist windstill und damit deutlich milder.
Gestern habe ich meine letzte Plattdüütsch-Stunde genossen. Trotz ganz fieser Erkältung ist die Lehrerin im Pastorat erschienen. Die nächsten Lektionen werde ich verpassen, aber ab April wird der Kurs ohnehin auf eine Stunde pro Monat reduziert, weil die Hallig-Leute mit beginnender Saison keine Zeit für mehr haben. Was soll ich sagen? Der April-Termin wurde so festgelegt, dass ich dann wieder dabei bin. Damit noch nicht genug. Heute früh tauchte Lehrerin Tutje – genau, die mit der gemeinen Erkältung – im Büro auf, um mir das Unterrichtsmaterial für die nächsten Stunden und weiteren Lernstoff zu bringen.
Ein dickes Dankeschön. An alle. Für alles. Ich komme sehr gerne wieder!
1- Hallig Erster Aufenthalt auf der Hallig im Februar (diese Seite)
2- Zweiter Aufenthalt auf der Hallig im April
3-Dritter Aufenthalt auf der Hallig im Juni
4- Hallig August
5- Hallig Oktober
6- Hallig November
7- Hallig Abschied